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Pippas Kurzgeschichte

Lachen. Einfach lachen. Es ist alles gut. Du möchtest nicht am liebsten losheulen. Versuche einfach zu lächeln... Ein Mantra... Ein Mantra, was ich immer in meinem Kopf wiederhole. Immer und immer wieder. Tag für Tag, Woche für Woche, seit einem Jahr. Keiner merkt etwas oder es ist ihnen einfach egal. Aber niemand fragt mehr ernsthaft nach, wie es mir geht, daher weiß ich, dass ich meine Maske gut verstecke. Eine Maske, das ist es. Eine Maske aus Fröhlichkeit und Freundlichkeit, die die Verzweiflung, Trauer und Wut verdeckt, die dahinter jeden Tag größer wird. Die Maske wird immer fragiler, immer zerbrechlicher... Ich frage mich, wann sie zerbricht.

Ein Jahr zuvor

Verdammt, verdammt, verdammt! Zu spät, zu spät, zu SPÄT! Ich komme zu spät zum Unterricht. Ich habe einfach verschlafen, aber das allein ist ja noch nicht genug. Nein! Mitten auf dem Weg ist mir auch noch die Kette vom Fahrrad gesprungen und jetzt habe ich dieses eklige schwarze Öl an den Fingern. Endlich die letzte Treppe noch hoch und die dritte Tür des Flures... Mist, sie sind schon drin! Ich werde gleich sowas von Ärger bekommen. Vor allem bei diesem Lehrer. Ich nahm meinen Mut zusammen und klopfte an. Ein verärgertes "Herein" kam von drinnen. Vorsichtig drückte ich die Klinke mit meinem Ellbogen runter und öffnete die Tür. Herr Mortemann guckte mich missbilligend über den Rand seiner Brille an und sagte: "Dürfte ich erfahren, warum du dich erst jetzt zu meinem Unterricht bequemst?" "E-entschuldigung, meine Fahrradkette ist rausgesprungen", brachte ich stotternd eine Antwort zustande. Bei meinen Worten wanderte sein Blick zu meinen Händen und er verzog sein Gesicht leicht: "Bitte wasch deine Hände und setze dich dann an deinen Platz." Mit eingezogenem Kopf ging ich zum Waschbecken und wusch meine Hände. Als ich mich gerade hinsetzen wollte, meinte er noch: "Ach ja, bevor ich es vergesse, ich sehe dich heute um 14:00 Uhr beim Nachsitzen." Genervt ließ ich mich auf meinen Stuhl sinken und die restliche Unterrichtsstunde von Herrn Mortemann zog an mir vorbei.

Nur noch fünf Minuten. Tick...Tack...Tick...Tack...Tick...Tack. Das Nachsitzen hat gleich endlich ein Ende. Endlich weg von Herrn Mortemann und seinen schrägen Geschichten. Er hat doch ernsthaft ein Fotoalbum mitgebracht! Nachsitzen allein ist schon schlimm genug, Nachsitzen mit Herrn Mortemann, der Geschichten über seine Jugend erzählt, ist die Hölle!

"So, das war´s, ich hoffe, ihr habt aus eurem Fehlverhalten gelernt, ansonsten sehen wir uns bald wieder," riss mich die Stimme von Herrn Mortemann zurück in die Realität und beendete die sogenannte Hölle auf Erden. Alle Schüler und Schülerinnen in diesem Raum sprangen auf und liefen, mich eingeschlossen, raus.

Sprintend über den Schulhof steuerte ich auf den Fahrradständer zu und schloss mein Fahrrad auf. Ich musste schnell nach Hause. Heute hatte ich natürlich mein Handy vergessen und so konnte ich meiner Mutter nicht schreiben, dass ich später kommen würde.

Als ich endlich verschwitzt und außer Atem zu Hause ankam, stutzte ich. Unsere Haustür war auf! Und das ist sie eigentlich niemals. Mit mulmigem Gefühl betrat ich das Haus. Irgendwas konnte hier nicht stimmen. Meine Tasche rutschte von meinen Schultern, über meinen Rücken auf den Boden. Hier war alles verwüstet! Meine Stimme war nur noch ein leises Flüstern, als ich durch das Haus rief: "Mama? ...Wo bist du?" ... Keine Antwort. In meinem Kopf spielen sich die schrecklichsten Szenen ab, eine schlimmer als die andere. Oh, wie ich gehofft hatte, dass keine wahr war. Mit zitternder Hand griff ich nach der Klinke der Tür zum Wohnzimmer. Ich zögere sie aufzumachen. Stockend öffne ich die Tür. Das Erste, was ich sehe, sind Blätter überall auf dem Boden verteilt. Dann umgekippte Stühle...Rot...flüssig...glasige Augen...ich schreie!

Gegenwart

Die Täter wurden nie gefasst. Niemand außer der Polizei und meiner Tante weiß, was wirklich geschehen ist. Alle denken, sie ist bei einem Autounfall gestorben. Jetzt lebe ich bei meiner Tante. Selbst sie kennt nur meine Maske. Niemand hat eine Ahnung, wie es mir wirklich geht. Dass ich Nacht für Nacht schweißgebadet aus meinen Albträumen aufwache. Immer die gleichen glasigen Augen, immer der gleiche leere Blick, immer der gleiche leblose Körper, kaum eine Nacht ohne sie. Niemand weiß es ... und das soll auch so bleiben. Ich habe was Schreckliches erlebt und daraus meine Entschlüsse gezogen. Ich werde niemals wieder jemanden in mein Herz lassen... Niemals.

 

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