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Sind wir nicht alle ein Stück an sozialen Toden beteiligt?

Krimistück am HAG Lengerich zwischen Unterhaltung und Moralisierung

 

LENGERICH. Das heimelige Kaminfeuer und der gereichte Portwein laden zur Entspannung ein, doch die vier Sessel rechts in der Ecke auf der Studiobühne sind nicht zum Ausruhen und Kuscheln gedacht. Wie auf spitzen Nadeln sitzen die Protagonisten in dem als Sozialdrama inszenierten Krimi-Stück „An Inspector calls“ am Hannah- Arendt Gymnasium Lengerich auf ihren Posten, während Inspector Goole (brillant gespielt von Marla Herngreen) nach und nach die dunklen Geheimnisse der Familienmitglieder Birling aufdeckt.

Dem Butler James (Thure Hülsmeier / Carlo Fronk) fällt schon zu Beginn die Kerze aus dem Leuchter – dieses Bild vom Unperfekten im perfekten Schein durchzieht die Inszenierung unter der Klassenleitung von Günter Mond, der das britischen Kriminalstück von 1945 mit seinem Q 1 Kurs Literatur an vier Abenden mit viel Einsatz und unterhaltenden Elementen von der Gestaltung des Bühnenbildes bis zur Organisation der Technik in der etwa 100 Personen fassenden Studiobühne des städtischen Gymnasiums präsentiert.

Ein, nicht nur angesichts des Ukraine Kriegs zeitloses Stück bringt der Kurs auf die Bühne - es spielt 1912 kurz vor dem ersten Weltkrieg. Der Autor J. B. Priestley transportierte seinerzeit seine Kritik am Umgang mit der Arbeiterklasse in diesem Krimi-Klassiker in der Tradition der allwissenden Miss Marple-Ermittlerin, allerdings findet sich in diesem modernisiertem Sozialdrama, das auch erfolgreich als TV-Serie lief, ein Hauch Mystery wieder. Am Ende – so viel sei verraten, wissen weder die mutmaßlichen Tatverdächtigen noch die Zuschauer, mit wem sie es bei Inspektor Goole zu tun haben.

Zu Beginn schaut das Publikum in das Wohnzimmer der wohlhabenden Familie Birling. Es ist die Ruhe vor dem Sturm: standesgemäß im britischen Upper-Class-Style der Jahrhundertwende feiert Familie Birling die Verlobung ihrer Tochter Sheila (Cornelia Lungu/Sheila Beckmann ) mit Gerald Croft (Friederike Telljohann) - bis Inspektor Goole auftaucht. Seziermäßig anhand eines Fotos der Toten konfrontiert er die Familienmitglieder mit ihrer Teilschuld an dem Selbstmord der Eva Smith (Johanna Lukas/ Giulia Seyfarth).

Insbesondere die Rückblenden setzt die Technik der Theater AG durch gedimmte Scheinwerfer gekonnt um und verdeutlicht den Zuschauern die Zeitsprünge. So erfährt das Publikum, dass Senior Arthur Birling durchaus mit der Toten einen Zwist hatte: Sie führte einen Streik in seiner Firma an, daraufhin entließ er sie. Sehr stark , gut artikulierend und als durchweg glaubwürdig in der Rolle präsentierte hier Vivien Telljohann den Familienpatriarchen Arthur Birling.

Doch auch die angepasste Tochter Sheila (Cornelia Lungu/Sheila Beckmann) ist nicht ganz unbeteiligt am Drama der toten Ex-Angestellten. Sie sorgt dafür, dass Eva Smith auch ihren zweiten Job verliert. Stark wie sich die junge Darstellerin zunehmend in der Rolle entwickelt. Spielt sie erst noch unscheinbar, strahlt gegen Ende ihre ganze Stärke durch. Ist es doch die Tochter, die gemeinsam mit ihrem Bruder Eric (Mattis Gröll/ Jan Uhlenhake) ihre moralischen Verfehlungen einsehen und ihr Verhalten bereuen. Als einzige männliche Hauptrolle besetzt, scheint Eric zunächst harmlos-unschuldig, entpuppt sich aber als Hallodri, der die Verarmte, mittlerweile in die Prostitution abgestürzte Eva Smith triebgesteuert schamlos ausnutzt. Selbst die Mutter Sybil (Celine Gramsch/Wiona Laschtowitz) - als Vorsitzender des Gemeinwohl-Komitees dem Schicksalsschlag der Eva Smith eigentlich verpflichtet, ist kalt wie eine Schlange.

Eine echte Herausforderung ist die Rolle des Schwiegersohns Gerald Croft. Friederike Telljohann stellt souverän den Speichellecker Gerald Croft dar, der um jeden Preis die Verbindung zu der wohlhabenden, aber heillos versnobten Familie Birling erhalten will.

Es ist beeindruckend, wie sehr es die Inszenierung mit ihren reduzierten Mitteln gekonnt schafft, einen unglaublichen Spannungsborgen in dem Stück zu halten. Stärkster Moment ist sicherlich die Szene, in

der Inspektor Goole mit dem kapitalistischen System abrechnet. Man könnte meinen, dem eigentlichen Grund für den Niedergang der Eva Smith, die stellvertretend für die Arbeiterklasse steht.

„Ihr Leben, ihre Hoffnungen und Ängste, ihr Leiden und ihr Glück sind mit unseren Leben verbunden“, ruft Inspector Goole in bestimmendem Ton in in die Studio Bühne hinein und hebt die Verantwortung der Leistungsträger in der Gesellschaft hervor – Marla Herngreen wunderbar unter Körperspannung, so dass man ihr das Gesagte so wirklich abnimmt .

Kritisiert J.B Priestly mit dem Stück den Umgang mit der britischen Arbeiterklasse der 30er Jahre, beschäftigt sich das Stück doch top aktuell mit den Themen Krieg an den Grenzen Europas und auch der Frage, welche Auswirkungen hat unser Verhalten auf andere. So wäre der Inszenierung eine mutige Anspielungen auf europäische Flüchtlingsthematik und prekäre Jobs von Arbeitsmigranten durchaus zumutbar gewesen.

 

Von Marie-Theres Himstedt

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